Über die Geschichte des Leißlinger Eierbettelns

Der 760 Jahre alte Ort Leißling, mit seinen ca. 1400 Einwohnern, gehört auf Grund seiner waldreichen Umgebung  an der Saale gelegen, zu den beliebtesten Ausflugszielen vieler Städter und Wanderer. Hier erheben sich die ersten Ausläufer des Thüringer Waldes. Der Ort gehört zum Landschaftsschutzgebiet des mittleren Saaletals und man findet hier viele unter Naturschutz stehende Pflanzen und Tiere. Geologischer Untergrund von Leißling ist der mittlere Buntsandstein, welcher an vielen Stellen des Ortes deutlich sichtbar ist.

Ein Ausflug nach Leißling lohnt sich aber nicht nur wegen seiner schönen Umgebung, sondern auch deshalb, weil in Leißling alljährlich im Frühjahr ein uraltes Volksfest gefeiert wird, das Leißlinger Eierbetteln.

Die Entstehung des Leißlinger Eierbettelns und wie es zum ersten mal gefeiert wurde, ist heute nicht mehr genau feststellbar. Man vermutet aber, dass es schon während der Zeit des 30-jährigen Krieges entstanden ist. In Deutschland tobte der Krieg, und auf dem Lande herrschte große Armut. Die Felder, Höfe und Dörfer der Bauern wurden ausgeplündert und völlig zerstört. Es wüteten Seuchen im Lande, denen zahlreiche Menschen zum Opfer fielen. Die damals abergläubigen Menschen beschworen die guten Geister, welche alle Not von ihnen abwenden sollten. Die Bauern zogen mit einer angeputzten Strohpuppe durch das Dorf zur Saale, um sie dort zu versenken. Man hoffte so von den bösen Kräften "gereinigt" zu sein. Manchmal wurden die Strohpuppen auch im Freudenfeuer verbrannt. Erste Berichte über solche Bräuche, auch als Todesaustreiben bezeichnet gibt es aus unserer Gegend schon vom Jahre 1318. Noch heute gilt die Strohpuppe oder der Strohbär als Symbol des Leißlinger Eierbettelns, auch wenn seine damalige Bedeutung heute nicht mehr im Vordergrund des Volksfestes steht.

Otto Scheiding war im Jahr 1990, als dieser Text von den Grundschülern in Leißling verfasst wurde, mit seinen 85 Jahren der einzige, welcher noch fachgerecht Strohbären band. Es wird alljährlich nur für das Eierbetteln, ein schmaler Streifen Roggen angebaut, um im folgenden Jahr ein gutes Langstroh für den Strohbären zu bekommen. Wie in so vielen Volksfesten unserer näheren Umgebung feierte man später dann das Eierbetteln als ein Fest des Winteraustreibens - den Sieg der Sonne über den Winter, das Herannahen des Frühlings, der die Natur belebte. Auch hier wurde wieder die Strohpuppe, welche diesmal den Winter verkörpern sollte, frühmorgens in der Saale ertränkt.

Das Ei, das Sinnbild des Lebens, wird hierbei auch als Sinnbild für das wiedererwachende Leben in der Natur gewesen sein. Auch in der Pestzeit hatte das Ei die gleiche Bedeutung - die Überwindung des Todes. In früheren christlichen  Jahrhunderten wurde der Zins in Eiern gezahlt, den sogenannten Bonifazinseiern. Folgende alte Legende lässt dann auch auf den heutigen Namen "Eierbetteln" schließen:

"Einmal im Jahr durfte der Hirt durchs

Dorf ziehen und sich symbolisch von

den Bauern seine Arbeit mit Eiern oder

anderen Naturalien vergüten lassen.

Vergaß er diesen "Heischegang" (Bittgang),

wurde er von allen verhöhnt."

Auch heute noch ziehen die Leißlinger Eierbettler alljährlich in ihrem "Heische-Umzug" durch das Dorf. Das Fest veränderte sich im Laufe der Jahrhunderte, einige Bräuche und Symbole blieben erhalten, kamen neu dazu oder wurden verändert. So war es eine Zeit lang nur Sache der Pfingstburschen, das Eierbetteln durchzuführen. Auch den Frauen war es erst nach dem 1. Weltkrieg erlaubt, sich am Eierbetteln zu beteiligen. Während früher den Masken eine große Bedeutung zukam, verkleideten sich später die Menschen nach und nach ganz und stellten heitere oder auch traurige Geschehnisse dar.

Die Bajazze (Possenreißer) schlagen noch heute mit ihren aufgeblasenen Schweinsblasen auf die Rücken der Besucher und wünschen diesen damit viel Gesundheit und zahlreichen Nachwuchs.

Auch die Birkenbesenreiter oder Herren, welche mit ihren Birkenästen durchs Dorf reiten und damit symbolisch die letzten Winter-Eisheiligen von den Straßen Kehren, stammen aus uralter Vergangenheit. Auch wenn der eigentliche Sinn des Eierbettelns längst in Vergessenheit geraten ist, feiern die Leißlinger heute immer noch bei Bier, fröhlicher Ausgelassenheit und mit vielen Gästen ihr altes Volksfest.

Das Fest in der Gegenwart

Schon viele Wochen vor dem Fest beginnen die Leißlinger mit den Vorbereitungen. Freunde und Eierbettlergruppen, die meist schon seit vielen Jahren zusammen auftreten, setzen sich zusammen und tauschen ihre Ideen und Vorschläge für neue Kostüme und tolle Scherze aus. Das beste davon wird in die Tat umgesetzt, und man scheut dabei weder Mühe noch finanziellen Einsatz. Auch der Vorstand des Eierbettlervereins beginnt frühzeitig mit seiner Arbeit. Er organisiert die Vorbereitung, den Ablauf und die Versorgung des Volksfestes.

Eine Woche nach Pfingsten beginnt dann alljährlich das Fest mit dem traditionellen Maienstecken. Fast in allen Gemeinden unserer näheren Umgebung pflegt man diesen Brauch der Urgemeinschaft, welcher sich bis in die heutige Zeit erhalten hat. Die "Maie" ist der Lebensbaum, das uralte Sinnbild des Neuen, des Lebendigen, der Frühlingsnatur. "Maie" nannte man die Birke bei uns, weil sie im Mittelpunkt des vorchristlichen Maienbrauchtums stand. Glück und Segen sollte mit der "Maie" in das Haus kommen, und noch heute wird ja auch beim Richtfest am First des neuerbauten Hauses eine kleine Birke befestigt, ein Schutzbaum für das neue Gebäude.

Ein Tag vor dem Maienstecken fahren einige Eierbettler in birkenreiche Wälder und schlagen dort, die vom Förster sorgfältig ausgewählten Birken. Erst am Abend kommen die Maienschläger dann zurück und beim Bier, Wein und Musik findet dieser anstrengende Tag seinen Ausklang.

Das Maienstecken beginnt Samstag Vormittag und endet erst spät abends. Dazwischen liegt ein fröhlicher Rundgang der ca. 50 Maienstecker durch ganz Leißling. Über 100 Maienbäume werden vor den Häusern zahlungskräftiger Bürger, meist Handwerker, Unternehmer und führender Persönlichkeiten des Ortes gesetzt. Auch Neuvermählte und Besitzer von neugebauten Eigenheimen erhalten eine Pfingstmaie, verbunden mit den besten Wünschen für die Zukunft, so ganz nach einem alten Spruch der da heißt:

"Wie die Maie gewachsen ist, so soll auch eure Familie wachsen."

Dies wird noch bekräftigt durch ein zünftiges Ständchen einer Leißlinger Blaskapelle. Jeder, der eine Maie erhält, bedankt sich dafür ganz nach seinem Ermessen mit einem Geldbetrag, welcher dann in den großen Topf des Eierbettlervereins kommt. Auch ein Bier oder Schnäpschen gibt es für jeden Musiker oder Maienstecker an fast jeder Haustür. Die Schriftstellerin Elfriede Kiel schilderte ihre Eindrücke vom Leißlinger Maienstecken in einem ihrer Bücher so:

"Samstagmittag: ´Was ist denn mit Euch los?' ruft Maria. Wir sind in die Arbeit vertieft, schreiben über Gastfreundschaft und hören -Oh Schande- nicht mal die Musik! ´Sie kommen schon!´ Da sind wir zur Begrüßung schnell draußen an die Tür. Wieder das gleiche frohe Bild wie in jedem Jahr: Auf dem Weg stehen die Musiker. Die Instrumente funkeln in der Sonne. Zwei Männer bringen den Maienbaum und stellen ihn auf. Er ist höher als das ebenerdige Holzhaus. Ansprachen und Wünsche vom Bürgermeister und vom Vorstand der Pfingstgesellschaft für die Hausgemeinschaft und für die Arbeit. Dank dafür und gute Wünsche für das Dorf und für die Pfingstgesellschaft. So nennen sich die Eierbettler auch. Tusch dreifaches `Hoch´! und noch zwei mal Tusch. `Hoch´ und Glückwünsche -ganz spontan- für den Hausherren und für die Schreiberin zum 25. Arbeitsjubiläum im Verlag. Umtrunk mit Bier, Kaffee, Leißlinger Köhlerquelle. Jeder wie er´s mag! Die Instrumente hängen am Gartenzaun oder stehen auf der Erde. Noch mal Musik: `Lobet den Herren...´Dies Lied spielen sie hier unten im Dorf beim Pfarrer. Das ist seit Jahren Tradition."

Man glaubt es vielleicht nicht, aber das Leißlinger Eierbetteln beginnt am Kleinpfingstsonntag schon frühmorgens 6 Uhr mit dem Wecken der Einwohner. Dafür sorgen einmal die Schönburger Blasmusikanten, die mit fröhlicher Blasmusik durch das ganze Dorf marschieren, und zum anderen die "Austrommler", eine kleine kostümierte Gruppe, die durch Sprechrohre lauthals die Bürger aufrufen, sich am bunten Treiben zu beteiligen. Dabei wird auch schon ein kleiner Vorgeschmack auf die stattfindenden "Attraktionen" oder besonders originelle Kostüme gegeben.

Ab 8 Uhr erscheinen dann zuerst die jüngsten Eierbettler in ihren lustigen Verkleidungen auf der Dorfstraße. 1968 haben die Kinder zum erstenmal ganz spontan ihr Kindereinerbetteln gehalten. In den Jahren zuvor gingen sie schon am Rande mit oder der Vater trug seinen kleinen "Putz" auf der Schulter. Die Leißlinger Kinder freuen sich schon lange vorher auf ihr Eierbetteln, basteln und nähen mit den Muttis die Kostüme und was so manchem kleinen schwerfällt, alles muß geheim bleiben. Selbst die allerjüngsten machen, kostümiert und geschminkt, auf den Armen der Eltern oder im Kinderwagen, erstmals mit dem alten Brauch Bekanntschaft. Vielen Besuchern ist es eine Freude, die kleinen Clowns, Mäuschen, Prinzessinnen, Indianer und Cowboys fürs Fotoalbum festzuhalten.

Die älteren Kinder bilden meistens untereinander kleine Gruppen, die sich in der Schule und in der Freizeit so mancherlei einfallen lassen. Natürlich muß auch hier genau wie bei den Erwachsenen, strengstens Geheimnis bewahrt werden. Rollschumädels, Rennfahrer in selbstgebauten Seifenkisten, Hexen, Zwerge und allerlei Tierfiguren können sich auf der Dorfstraße mal so richtig austoben. Sogar eine richtige Kinder-Blaskapelle haben die Leißlinger, denn für musikalischen Nachwuchs wird in der Schule gesorgt. Diese jungen Musiker verbreiten auf den Straßen, genau wie ihre älteren Kollegen, Stimmung und Fröhlichkeit und so manches kleine Pärchen zeigt hier, zur Freude der Zuschauer, erste Tanzerfolge.

Pünktlich um 10 Uhr beginnt dann der Kinderumzug, voran der Vorstand der Eierbettler und die Blaskapellen, vorbei an den vielen Schaulustigen, denen man eifrig zujubelt. Am Ende des Umzuges erhält dann jedes Kind zur Stärkung eine Wurst und Limonade. Auch wenn das Kindereierbetteln damit abgeschlossen ist, bleiben einige Kinder trotzdem den ganzen Tag über in ihren Kostümen und schauen dann dem fröhlichen Treiben ihrer Eltern zu.

Mittag sind im Dorf die letzten Vorbereitungen der einzelnen Gruppen abgeschlossen, die selbstgebauten kleinen Bühnen und Wagen sind geschmückt, jetzt gilt es sich selbst "herzurichten". Viele Ehepaare sind an diesem Tag getrennt und so mancher Mann ist gespannt, in welcher Maskerade sein Eheweib erscheinen wird. In mühevoller Kleinarbeit fertigen die Eierbettler ihre Kostüme. Die einen leihen sie sich vorher aus, die anderen lassen abendelang die Nähmaschinen surren. Viele Gruppen basteln gemeinsam an ihren Kostümen und denken sich dabei manchen Klamauk aus. Der Stolz einer Eierbettlergruppe wächst mit der Zahl der gemeinsamen Jahre und der Auftritte, von denen man noch lange Zeit im Dorf spricht. Preise für die originellsten Auftritte werden nicht vergeben. Teilnahme zählt und kuriose Ideen sind gefragt, die dem alten Brauch ein starkes Lebenslicht sichern.

Ab 14 Uhr ist dann das ruhige und friedliche Leißling nicht mehr wiederzuerkennen. Am Ortseingang wird von den Kassierern ein kleiner Opulus abverlangt. Die vielen Besucher können ihre Fahrzeuge auf dem Parkplatz des Einkaufszentrum "Schöne Aussicht" abstellen und mit einem kostenlosen Buspendelverkehr in den Ort gelangen. Im Dorf selbst tobt ein buntes Volk mit getöse und Musik durch die Straßen und treibt seinen Schabernack mit dem spalierstehenden Publikum. Jeder muss hier auf Scherze gefasst sein, denn ganz leicht kann man in die Schlinge von Strohbären, Bajazzen oder Hexen geraten, welche ihre Opfer nur gegen Bezahlung wieder freigeben. Die umherziehenden Gruppen singen und tanzen ungehemmt auf den Straßen nach den Rhythmen der Blasmusik, und so mancher Gast wird zu einem kleinen Schluck aus dem kostbaren Wein- und Schnapsvorrat der Musikanten verführt. Auf den selbstgebauten Bühnen finden die originellen Shows statt, gestaltet von Leißlinger Eierbettlern, denn die Leißlinger brauchen keine Küstler aus der Ferne. Fast jedes Jahr gibt es da Playback Hitparaden mit den neuesten Ohrwürmern oder artistische Tanzvorstellungen des Leißlinger Männerballets. Für jeden Geschmack ist etwas dabei. Während das bunte Treiben des Volkes im Dorfe einige Stunden anhält, ziehen die eigentlichen Eierbettler in ihrem traditionellen Heischegang durch das Dorf, Voran die Leißlinger Blasmusikanten mit dem Vorstand. Vor fast jedem Haus gibt es ein Ständchen und die Kassierer mit ihren großen Tragekörben erhalten dafür Eier, Geld oder andere Gaben. Der Eierprinz wacht in der Bettlergesellschaft, dass auch alles rechtens vonstatten geht, mit dem "Eierbetteln".

Höhepunkt des Tages bildet dann um 18 Uhr ein abschließender, stimmungsvoller Festumzug mit allen beteiligten, jedoch jetzt ohne Masken. So manchem Zuschauer wird nun erst klar, wer ihm da einen Schabernack gespielt hat. Der Umzug endet in der Gaststätte "Thüringer Pforte", wo die Blaskapelle zu einem zünftigen "Austanz" aufspielt und der Vorstandsvorsitzende seinen Dank an alle Eierbettler richtet. Mit einem gemeinsamen Tanzabend im Dorfsaal klingt das Fest dann gegen Mitternacht aus. Ganz zu Ende ist da Fest jedoch noch nicht, denn 8 tage später treffen sich alle noch einmal zum "Eierbettlerschmaus". Dort werden die erbettelten Eier gebraten und verzehrt. Bei Freibier, Wein und Tanzmusik gedenkt man noch einmal der Erfolge des Eierbettelns, wobei so manche Gruppe schon die ersten Pläne für das nächste Eierbetteln schmiedet.

Ein leztes Zitat der Schriftstellerin Elfriede Kiel soll für alle Leser eine Einladung sein, das Eierbetteln in Leißling einmal selbst zu erleben.

Mein Papier ist schon längst vollgeschrieben.

Aber wie kann ich das fröhliche Fest auf ein

paar bogen Pergament- und Karopapier schildern,

so dass etwas zu hören ist von der Musik und etwas zu sehen ist

vom Schiff, von den tanzenden Masken, von den Schwalben,

von den Gästen und dass etwas zu spüren ist

vom Tanz und von der frohen Stimmung!

Ich meine, man muss selbst dabei sein.

 Vielleicht das nächste Mal am Kleinpfingstsonntag.

Die Leißlinger haben gerne Gäste bei ihrem Fest."

 

Das Heimatlied

Text und Musik Theo Pohle (Marsch)

Kommst Du mal nach Leißling rein,

bleib am Berge stehn.

Schaue erst in`s Tal hinein,

viel gibt`s da zu sehn.

Vorbei fließt stolz die Saale,

ringsum Bergeshöhn

und unter Dir im Tale

siehst du Leißling schön (stehn).

 

Refrain:

Mein Leißling - ich grüße Dich!

Mein Leißling - nie laß ich Dich!

Zieh ich auch in die Welt hinaus,

kehr ich doch ganz bestimmt nach Haus.

Mein Leißling - wie bist Du schön!

Ich muß dich wiedersehn!

 

 ***

 

Drei Berge sind besiedelt,

im Tal Haus an Haus.

Die Straße nicht gebügelt,

das macht uns nichts aus

Bei uns wird viel gesungen

Und Musik gemacht.

Viel schönes ist gelungen,

wir haben`s vollbracht.

 

***

 

Kommst Du mit der Eisenbahn,

schau in`s Schwimmbad rein.

Steige dann den Berg hinan,

kehr in`s Café ein.

Hat`s die bei uns gefallen,

fahr zufrieden heim.

Doch eins merk die vor allem:

Leißling ist doch fein!

 

 ***

 

Kommst Du einmal wieder her,

muß es Pfingsten sein.

Blasmusik und Strohbär

Laden auch dich ein.

Eierbetteln feiern wir,

treiben Geister aus.

Geld und Eier sammeln wir

für den großen Schmaus.

 

 ***